1973. Das Jahr der ersten Energiekrise, weil die Araber den Ölhahn zudrehten. Grossbritannien tritt der EU bei. Heidi Klum kam zur Welt. Paul Walker und Jan Ullrich auch.
Pablo Picasso starb 91jährig, Bruce Lee 32jährig – Malen ist also drei Mal gesünder als Sport.
Die Sendung mit der Maus wird erstmals ausgestrahlt und Deutscher Fussballmeister wird… na wer wohl… Bester Film: Der Pate – natürlich in schwarz-weiss. Griechenland ist keine Diktatur mehr und England verliert die Bahamas. Und am 1. März passiert etwas Krasses, etwas Nachhaltiges, etwas Einzigartiges und: Wir meinen nicht die Indianer, die die Ortschaft Wounded Knee besetzen.
2023. Die Energiekrise ist wieder da. Die Briten nicht mehr in der EU. Heidi Klum lebt noch, Paul Walker leider nicht mehr. Jan Ullrich ist in etwa so sportlich wie der Durchschnittsfasnächtler und Deutscher Fussballmeister wurde und wird Bayern München. Viel hat sich nicht geändert. Auch das, was am 1. März 1973 passierte, hinterliess Spuren bis heute und existiert immer noch!
1973-2023 – eine Konstante in den wilden Jahrzehnten
Am 1. März 1973 tritt eine Gruppe emanzipierter Frauen ins Rampenlicht der Rheintaler Fasnachtsszene – zwei Jahre nach der Annahme des Frauenstimmrechts. Und das erst noch im bis heute konservativen Lüchingen.
Diese Frauen liessen ihre Lavaria-Männer zwar an die Fasnacht, haben aber kein bisschen Lust, zu Hause auf die Jungs zu warten und Däumchen zu drehen.
«Mann aus dem Haus, tanzt die Maus! Und zwar im Roosen!» – so der überlieferte, weil weitererzählte Urgedanke, den es für die Entstehung dieses Lüchiger Erdbebens brauchte.
Sie haben vor 50 Jahren (!) DEN Maskenball gegründet und ihn bis heute in die Neuzeit gerettet – aufgepimpt, erweitert, immer wieder neu erfunden.
Angefangen mit einem lüüben Tanzsaal, ein paar Ballons und einer Musikkapelle, die der Kassierin – meine Mama – jedes Jahr bei der Abschlussrechnung das Tränenwasser in die Augen trieb. Aber nicht vor Freude.
Weiter ging’s mit der Kaffeestube im Keller, die zwischenzeitlich zur Piratenhöhle und zum place to be wurde. Irgendwann waren die engen Gänge vor den Schulzimmern geheimer Unterschlupf der Gugger oder man traf die Gründungsfrauen auch nach vierzig Jahren noch im Backoffice, um mit ihnen in Ruhe auf den Erfolg anzustossen, während die jüngeren Frauen an der Front ihren Kampf gegen die tumultartigen Festivitäten fochten.
Der Lüchiger Maskenball ist DER Anlass in der Rheintaler Fasnachtsszene. Alle anderen Bälle zwischen Berneck und Altstätten gingen sang- und klanglos unter, das Roosen blieb eine Bastion. DIE Bastion.
Immer wieder mussten sich die tüchtigen Frauen neu erfinden, die Ballons an der Decke blieben. Der Vorverkauf wurde angepasst, die Spielzeiten der Guggen gekürzt, die Bars wurden nach aussen verlegt, die Schülergarderoben gesperrt, die Frauen haben immer wieder das Verhalten der wilden Gäste studiert und ihre Lehren daraus gezogen.
Die meisten dieser Frauen haben zu Hause Männer und Kinder, bei denen sie das Handwerk für das Bewältigen eines Maskenballs gelernt haben: Freundliches Lächeln, harte Hand. Nur so überlebt man und frau eine Party dieses Ausmasses. Sie lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen und sonst ziehen sie dem Major der Räbis einfach das Kostüm und dann die Ohren lang.
Liebe Lüchiger Frauen. Wir haben euch vor zehn Jahren zum Vierzigsten gratuliert und ein kleines Geschenk gebracht. Wir haben damals schon betont, wie beeindruckt wir sind, dass ihr Jahr für Jahr die Energie aufwendet und diese Party auf die Beine stellt. Wir Räbis haben das zwölf Mal gemacht und danach den Bettel hingeworfen. Wir waren eine Laune der Natur und ihr seid eine Naturgewalt! Nichts kann euch aufhalten!
Es gäbe tausende wilder Geschichten, aber die lassen wir schön unter dem Teppich, so wie sich’s gehört für einen historischen Tempel. Wir sagen Danke, dass wir (fast) immer bei euch eingeladen waren. Danke für eine der geilsten Bühnen, die es für uns gibt! Und Gratulation zum Goldenen Räbi 2023.