Unser Quoten-Kriessner muckt auf

Integration. Viele reden davon, wir tun es einfach. Wobei – einfach ist es natürlich nicht. Aber sollen wir uns deshalb auf den Boden kleben oder ein paar Gemälde mit Tomatensauce bekleckern? Nein! Wir beissen in den sauren Apfel und jammern nicht.


Ganz freiwillig machen wir’s natürlich nicht. Was für jeden Rheintaler Verein gilt, gilt auch für uns: Wir müssen einen Kriessner halten und versuchen, ihn zu zivilisieren. Was vielleicht viele nicht wissen: In den 80er-Jahren wurde allen Nachbarsvereinen auferlegt*, mindestens einen Kriessner aufzunehmen und ihn zu sozialisieren. Kriessnerinnen waren davon ausgenommen, weil man sie damals noch nicht aus der Küche nehmen durfte. Der Aufschrei innerhalb des Dorfes wäre zu gross gewesen.
Warum in den 80er-Jahren? Nun, das war die Zeit, als die Kriessner Dorfjugend plötzlich motorisiert war dank ihren frisierten Töffli und sich somit ihr Territorium empfindlich ausweitete. Diese Gefahr sollte eingedämmt und gleichzeitig eine nachhaltige Lösung gefunden werden.


Wie gesagt, wir wollen nicht jammern. Es geht ja allen so. Auch wenn weder Sprache, noch Kultur(losigkeit), noch die Trinkgewohnheiten annähernd kompatibel waren mit unseren urbanen Gepflogenheiten, haben wir – und das sagen wir nicht ohne Stolz – ein paar Fortschritte erzielen können. Logisch, nehmen wir ihn nicht immer mit. Klar, wollen wir ihn nicht auf den Fotos haben. Normal, muss er bei der Platzwahl hinten anstehen. Alles kann er ja nicht erwarten, wir sind schliesslich Menschen und er ist ein Kriessner.


Unser Problem ist nun, dass sich unser Kriessner nun schriftlich beschwert, nachdem wir ihm unter Einsatz von Schweiss und Nerven einigermassen lesen und schreiben beigebracht haben. Er reichte eine Beschwerde beim Vorstand der Räbis ein. Nun, weil wir eine offene Kommunikation pflegen und nichts unter dem Teppich verschwinden lassen wollen, scheuen wir uns auch nicht, unsere eigenen Probleme zu enthüllen.


Hier seine Beschwerdeschrift, man könnte sie auch Mimimii nennen:

Die mentale Stärke eines Kriessners

Als Kriessner ist man sich’s gewohnt – dieses chronisch unterschätzt und nicht gross beachtet werden. Als Kriessner gibst du Tipps, Ratschläge und Meinungen zu diversen Themen ab. (Anmerk. der Redaktion: ungefragt!) Anders gesagt, du versuchst deine und die Welt deiner Mitmenschen ein Stück besser zu machen. Als Kriessner bist du’s aber auch gewohnt, dass niemand auf dich hört. Später jedoch fallen dann Sätze wie: «Er hatte doch recht» oder «Hätten wir mal auf ihn gehört». Als Kriessner geniesst du dann still deinen Erfolg, bist keiner, der damit angibt im Sinne von: «Ich hab’s euch doch gesagt!» 

Auch als einziges* und stolzes (!) Kriessner Mitglied der Gugge, welche dieses Blatt herausgibt, sind dir diese Zustände mehr als bewusst. Du kannst dich damit arrangieren. Du weisst, eigentlich hast du immer Recht. Und genau dieser Umstand lässt die restlichen Mit- und ohne Glieder (damit wir auch hier auch noch gegendert haben) zu immer perfideren Mitteln greifen, um dir ihre Verachtung zu zeigen. Beispiele gefällig? 

• Zum Saisonstart fehlen plötzlich der Wasserkocher und der grüne Wodka im Probelokal. Wie soll da ein vernünftiger Lutz oder ein Fröschli gemacht werden? Wie??? 

• An der ersten Probe verbannen sie dich hinter die Sousaphone in die Dunkelheit. 

• Auf der Checkliste fürs Hotel am Auswärtsweekend fehlst du komplett. 

• In den internen Whatsapp-Gruppen wirst du ignoriert. 

Zufälle? Oh nein, über Zufälle sind wir längst hinweg. Das ist eine Mischung zwischen Mobbing und Ghosting, nennen wir es Mhosting! Wohin soll das führen? Will man mich nach über 20 Jahren aus dem Verein haben*? 

Lässt du das zu? Nein! Du bist hier noch lange nicht fertig, die können mich alle mal! Ich bin Kriessner, da muss schon mehr kommen, um mich zu verjagen! Das wäre doch gelacht, die werden noch lange an mich denken! Spätestens beim nächsten «Hätten wir mal auf ihn gehört». 


Solcherlei Protestbriefe sind sich die anderen Vereine nicht gewohnt. Wir scheinen da ein sehr widerspenstiges, lernresistentes Exemplar erhalten zu haben. Aber irgendwie finden wir’s noch cool, dass wir das Wilde und Unbeugsame nicht aus einem Kriessner rauskriegen, denn die vielen Ringerstaffel-Goldmedaillen finden wir brutal geil!

Auf dem Bild sieht man übrigens den Kriessner knapp nicht. Er hat zwar als Ergänzungsspieler mitmachen dürfen – vermutlich ist jemand anders kurzfristig ausgefallen – aber … ääh…. hmmm… ah ja… der Weitwinkel der Kamera war kaputt, darum ist er auf dem Bild (und eventuell auch sonst) nur eine Randerscheinung.